Der große griechische Philosoph Sokrates soll ein sehr weiser und kluger Mann gewesen sein. Nach einem Leben des Studierens und Nachdenkens soll er geäußert haben: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Heute gibt es diese Universalgelehrten nicht mehr. Heute finden wir das gesammelte Wissen der Menschheit im weltweiten Netz. Es ist unvorstellbar groß und von keinen Menschen mehr überschaubar. Schon wenn Sie ein neues technisches Gerät in die Hand nehmen werden Sie feststellen, dass es nicht leicht ist all die Möglichkeiten, die das Gerät bietet zu nutzen. Und morgen ist der Fortschritt schon wieder weitergegangen.
Die Kehrseite all dieses Fortschrittes ist, dass ich mich als jemanden erlebe, der sehr begrenzt ist in seinem Wissen und auch in seinen Möglichkeiten. Genau dieses Wissen um die eigenen Grenzen ist das Thema des Herbstes. Der November insbesondere mit dem Volkstrauertag und dem Totensonntag zeigt uns unsere Grenzen auf.
Wir haben weder die Möglichkeit, Frieden auf dieser Welt zu schaffen, noch haben wir die Möglichkeit, unsere Welt vor dem Zerfall zu retten. Wir haben auch nicht die Möglichkeit, unser Leben zu verlängern. Das müssen wir verstehen lernen. Natürlich kann man das alles verdrängen. Aber Unangenehmes zu verdrängen ist nie gut. Jedes Kind weiß, dass der Tod zum Leben dazugehört. Kinder sind neugierig, wenn sie einen toten Käfer finden oder ein totes Tier am Wegrand liegt. Sie möchten wissen was da geschieht. Schade, dass diese Neugier im Laufe des Lebens abnimmt. Auch die Neugier, was danach kommt. Ich las einmal den Satz: „Wirkliches Wissen gründet auf Erfahrung.“ Nun, das mag ja richtig sein, aber keiner von uns hat Erfahrung mit dem Sterben. Was machen wir also in diesem Dilemma?
Ich möchte uns ans Herz legen, dass wir dennoch dieses Thema nicht einfach zur Seite schieben, weil es unangenehm ist. Vielleicht könnten wir einen Zugang gewinnen, indem wir zuerst eimal das Klagen praktizieren. Ja, klagen zu dürfen über Vergeblichkeit, die man im Leben erfährt oder die Endlichkeit mit allen Folgen würde uns vielleicht wieder Luft zum Atmen geben. Es ist doch nicht schön, jemanden, den man liebte, hergeben zu müssen. Diese Trauer, manchmal auch diese Wut dem Unvermeidlichen gegenüber, muss doch einen Platz unter uns finden. Es muss gesagt und gelebt werden dürfen unter uns. So wie viele Trauernde eben auch auf den Friedhof gehen, nicht weil dort ihre Lieben seien, sondern weil sie einen Ort brauchen, an dem das Trauern erlaubt ist. Gibt es nun auch Perspektiven?
Hiob, ein Sinnbild für Leid und Verzweiflung und Trauer im Alten Testament spricht nach der folgenschweren Begegnung mit Gott den Satz: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ Angesichts der benannten Dinge brauchen wir mehr als Lösungen, wir brauchen „Erlösung“.
Erlösung aber kann nur Gott geben. Da greifen unsere Möglichkeiten zu kurz. Deshalb ist es so wichtig, Orte zu haben, in denen ich alles, was mich existenziell bewegt und zutiefst angeht, in mein Bewusstsein kommen lassen darf. Es muss ein geschützter Ort sein und ein Ort, an dem ich spüre, dass unter mir die starke Hand Gottes ist, die mich hält und über mir ein leuchtender Horizont, der mir Hoffnung gibt.
Mit diesen Worten grüße ich Sie zum November 2019.
Herzliche Segenswünsche Ihr Gemeindepfarrer Joachim Knab